Freitag, Oktober 07, 2005

See you later, dad


Und erneut öffnete sich die Besucherschleuse zur Intensivstation der Inneren Abteilung. Der Weg führte vorbei an unzähligen und durch grosse Glasflächen einsichtige Stationszimmer. In jedem einzelnen dieser Räume eine Geschichte, ein ganz eigenes Schicksal. Aus allen Richtungen ertönt das Gepiepse von ausgelaufenen Infusionsaparaturen. Gelassenheit auf den Fluren, keine Hektik, null Stress. An einem Ort wie diesem zählt all das nicht mehr. Zeit ist hier mehr als nur relativ. Das lernte ich in den zurückliegenden Wochen ohne Frage. Und das ist nun schon ein ganzes Jahr her ...

Dad lag scheinbar ruhig und entspannt und noch immer voll verkabelt auf dem Rücken, und die Bewegungsautomatik des Betts stand auf Stop. Wenngleich sich sein Brustkorb hob und senkte, so wusste ich dennoch, dass nicht er es war, der atmete. Wie sehr man sich doch mit einem solchen Anblick arrangiert hatte in den vergangenen Wochen...? Ich erschrak bei dem Gedanken, doch sogleich wurde mir klar, dass dieser Besuch unser letzter sein würde. Unser letztes Treffen, wir alle zusammen. Chris sass erschöpft auf einem Stuhl neben dem Bett, den Kopf auf Dad´s Bein ruhend, und manchmal schloss sie ihre Augen für einige Minuten. Dirk und Mom standen rechts und links am Kopfende, und immer wieder strich Mom´s Hand durch sein Haar. Auf dem Boden Anke und Kalle, müde und schläfrig. Ich hielt seine Hand, sprach mit dem Wind und bat ihn, für mich zu übersetzen. Wir alle spürten, dass nun der Augenblick gekommen war, auf Wiedersehen zu sagen. Ich weiss nicht, ob ich an alles dachte, was ich noch hatte sagen wollen, und ob es von Bedeutung gewesen wäre. Aber wieder einmal mehr begriff ich, dass es für alles im Leben den richtigen Augenblick gibt. Und wenn man ihn nicht als solchen erkennt, wird das ein oder andere im Leben als Leerzeile zurückbleiben.

Noch immer beeindruckt von der Rede meines Bruders, die er auf der Trauerfeier vor all den fassungslosen Gesichtern hielt, bleibt mir an einem Tag wie heute nur, mich eben dieser Rede zu erinnern und noch einmal zu lauschen.
Wenngleich man um die Tatsache weiss, dass alles im Leben seinen Platz hat, alles seine Zeit und es immer irgend etwas geben wird, das es noch zu erledigen gilt, so ist in Augenblicken wie diesen eine unabwendbare Einsicht die wohl grausamste: Nichts wird mehr so sein, wie es einmal war.

See you later, dad !

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