Sonntag, Oktober 23, 2005

Niemand vermisst uns

Bosse - Album: "Kamikatzeherz"

"Niemand vermisst uns
und auch die Nacht vergisst uns schon
Was du hörst sind nur Echos
Und die bleiben für immer
Niemand vermisst uns
und auch die Stadt vergisst uns schon
Wir trampen vor bis zum Rücksitz
und schlafen zum Meer"

Dienstag, Oktober 11, 2005

Stockholm hin, zurück mal sehen


Die Buchung des Stockholmfluges erwies sich als zeitraubende Vormittagsbeschäftigung, und die Vorfreude auf das Ereignis tropfte minütlich in Schweissperlenform von Markus Stirn. Da er sich dem Schwedentrip spontan anschloss und wir seine Kreditkarte zur Buchung nutzten, bestand mein Job eigentlich mehr darin, dem Herrn Striegl den Schaum vom Mund zu wischen, der sich während des äusserst unangenehmen Gespräches mit Callcenter-Operator 1 immer wieder aufs neue bildete.
Die doppelte Namensangabe in der Flugbestätigung per Mail war wohl eher ein Systemfehler, der sich auf der äusserst "professionell" gestalteten Buchungs-Website eingeschlichen hatte. Ein Mann kann ja unmöglich zweimal am selben Tag mit der selben Maschine ein und den selben Flug absolvieren...
Zudem wäre es an Dummheit kaum mehr zu übertreffen, wenn jemand einen Flug bucht, sich selbst dabei begleiten möchte, und dann gleich zwei Tickets ordert. So ein Ausflug, am Wochenende, nur ich und ich, wir zwei ganz allein.
Mangelnde Intelligenz seitens Mr. Operator 1 war nicht wirklich überraschend, seine Unverschämtheiten und die ungehobelte Wortwahl schon eher. Das Angebot, er könne den ersten Namen (der zudem orthographische Fehler aufwies) unter Umständen ändern, "nur der zweite koste dann fünfundsechzig Euro", war wenig einleuchtend.

Ich wischte also weiterhin Schaum und kümmerte mich mittlerweile zusätzlich um koffeinhaltigen Nachschub. Markus kochte derweil schneller und heisser als eine Espressomaschine es je könnte, und somit bekam mein Job schon leicht sportive Züge.
Die eindeutige Feststellung, dass das System wohl nen Fehler gemacht haben musste, erstickte abermals völlig erfolglos in der Unnachgiebigkeit von Operator 1.
Die Uhr tickte, und die Euros flossen nur so durchs Funknetz. Kein Weiterkommen. Markus Stimme veränderte auf sehr beunruhigende Weise ihre Klangfarbe. "Und jetzt will ich ihren Chef sprechen!"
Der Operator fackelte nicht lange, drückte auf die Verbindungstaste, und Stille machte sich breit. Minuten lang... Dabei blieb es auch. Es war wohl eher die "Leck- mich-am-Arsch-du-Scheisskunde-Taste".
Also startete der kochende Rockstar nen erneuten Anruf - tarifstabil, versteht sich.

Operator 2 war da schon freundlicher. Er schaute nach, und das Procedere mit Flugnummer und Erklärung der Situation startete erneut. "Einen Moment bitte", seuselte es durchs Funknetz, und wieder ruhte der See.
Stille. ...
Dann ein erneutes "Hallo". Offensichtlich hatte OP1 einen Vermerk ins System getippt: "Schwieriger und nicht abzockbarer Kunde", oder so etwas in der Art. OP2 war zwischenzeitlich also in Kenntnis gesetzt vom erfolglosen Gespräch mit seinem evolutionsvergessenen Kollegen. Wir waren vermutlich in der nächsten Abteilung gelandet, dort, wo man eben landet, wenn man nicht kommentarlos und nickend die Asche überweist.
Hier zeigte man sich schon etwas flexibler ob der "bindenden Geschäftsbedingungen", und mal ehrlich: wer will schon Ärger mit seinem Vorgesetzten?!
Plötzlich kostete das Ganze nur noch zwanzig statt fünfundsechzig Euro - zehn für jeden Namen. Also war der türkische Basar doch nicht in irgend einer Ausschliesslichkeitsklausel der Ryanair-Hausordnung wiederzufinden.

Natürlich brauchte man nochmal die Daten (wenngleich OP2 sie noch einige Euro früher laut und deutlich vorgelesen hatte), inklusive der Kreditkartennummer. "Zehn... ich wiederhole ..zehn .... fünfundvierzig ..... moment, jaa,...fünfund....." -
Vier Euro und ein paar Cent später waren die Daten dann nochmal schön langsam von Hand eingetippt, die Namen korrigiert, und die bevorstehende Abmahnung seitens der Abteilungsleitung abgewendet. Markus war sichtlich erschöpft, aber wohl eher von dem kochenden Blut und der leider unabänderbaren Tatsache, in Momenten wie diesen solchen Leuten nicht "Face to Face" gegenüber gesessen zu haben.
In diesem Fall nämlich hätte ein frontaler Schlag in die Kauleiste von OP1 schon ausgereicht, um einen Fehler, der völlig offensichtlich computertechnische Gründe gehabt haben muss, zu korrigieren.
OP2 verabschiedete sich, Markus warf das Handy auf den Tisch und atmete schwer. Seine Gesichtsfarbe hätte man in Anbetracht der herbstlichen Wetterlage als gesund bezeichnen können. Ich dachte eigentlich eher daran, ihm unverzüglich
Wasser zu bringen und den Kaffeekonsum bis auf weiteres zu stoppen.

Und die Moral: bei Ryanair immer alles gaaaanz laaangsam ausfüllen, damit du nicht versehentlich mit dir selbst in urlaub fliegst, und dich am Ende des ersten Urlaubstages nicht fragst, wo eigentlich deine Begleitung geblieben ist. Ihr hattet doch zu zweit gebucht..?!

Freitag, Oktober 07, 2005

See you later, dad


Und erneut öffnete sich die Besucherschleuse zur Intensivstation der Inneren Abteilung. Der Weg führte vorbei an unzähligen und durch grosse Glasflächen einsichtige Stationszimmer. In jedem einzelnen dieser Räume eine Geschichte, ein ganz eigenes Schicksal. Aus allen Richtungen ertönt das Gepiepse von ausgelaufenen Infusionsaparaturen. Gelassenheit auf den Fluren, keine Hektik, null Stress. An einem Ort wie diesem zählt all das nicht mehr. Zeit ist hier mehr als nur relativ. Das lernte ich in den zurückliegenden Wochen ohne Frage. Und das ist nun schon ein ganzes Jahr her ...

Dad lag scheinbar ruhig und entspannt und noch immer voll verkabelt auf dem Rücken, und die Bewegungsautomatik des Betts stand auf Stop. Wenngleich sich sein Brustkorb hob und senkte, so wusste ich dennoch, dass nicht er es war, der atmete. Wie sehr man sich doch mit einem solchen Anblick arrangiert hatte in den vergangenen Wochen...? Ich erschrak bei dem Gedanken, doch sogleich wurde mir klar, dass dieser Besuch unser letzter sein würde. Unser letztes Treffen, wir alle zusammen. Chris sass erschöpft auf einem Stuhl neben dem Bett, den Kopf auf Dad´s Bein ruhend, und manchmal schloss sie ihre Augen für einige Minuten. Dirk und Mom standen rechts und links am Kopfende, und immer wieder strich Mom´s Hand durch sein Haar. Auf dem Boden Anke und Kalle, müde und schläfrig. Ich hielt seine Hand, sprach mit dem Wind und bat ihn, für mich zu übersetzen. Wir alle spürten, dass nun der Augenblick gekommen war, auf Wiedersehen zu sagen. Ich weiss nicht, ob ich an alles dachte, was ich noch hatte sagen wollen, und ob es von Bedeutung gewesen wäre. Aber wieder einmal mehr begriff ich, dass es für alles im Leben den richtigen Augenblick gibt. Und wenn man ihn nicht als solchen erkennt, wird das ein oder andere im Leben als Leerzeile zurückbleiben.

Noch immer beeindruckt von der Rede meines Bruders, die er auf der Trauerfeier vor all den fassungslosen Gesichtern hielt, bleibt mir an einem Tag wie heute nur, mich eben dieser Rede zu erinnern und noch einmal zu lauschen.
Wenngleich man um die Tatsache weiss, dass alles im Leben seinen Platz hat, alles seine Zeit und es immer irgend etwas geben wird, das es noch zu erledigen gilt, so ist in Augenblicken wie diesen eine unabwendbare Einsicht die wohl grausamste: Nichts wird mehr so sein, wie es einmal war.

See you later, dad !